Projekt „Kunst im Zeichen des baukulturellen Erbes der Vojvodina“
Projektstand Vojvodina
Antrag an KulturKontakt
Grundlage
1990 wurde unter dem Regime des Präsidenten Slobodan Milosevic die Autonomie der serbischen Provinzen Kosovo und Vojvodina aufgehoben, Die, in diesen Regionen beheimateten, Minderheiten wurden dazu angehalten sich vollständig zu assimilieren. Die Traditionen der verschiedenen Ethnien wurde unterdrückt, der Unterricht in den jeweiligen Sprachen verboten und die Einfuhr von Büchern unterbunden.
Die an Kroatien, Ungarn und Rumänien grenzende Nordprovinz ist die Kornkammer Serbiens. Etwa 40 Prozent des gesamtstaatlichen Steueraufkommens stammen aus der Vojvodina. Alle diese Gelder mussten direkt nach Belgrad abgeführt werden, und nur sehr wenig floss wieder zurück. In der relativ wohlhabenden Vojvodina wurde und wird das besonders schmerzlich empfunden. Bedingt durch die mittlerweile schlechte wirtschaftlich Lage und die vorangegangenen politischen Wirren entfernten sich die einzelnen vertretenen Volksgruppen zunehmend von ihren kulturellen Wurzeln. Um dem kompletten Verlust des kulturellen und künstlerischen Erbe entgegenzuwirken wurde von dem „Ungarischen Verein für Jugendliche in der Vojvodina“ – DMISZ (Délvidéki Magyarok lfjúsági Szervezete) die „Spiele der Jugend der Vojvodina“ ins Leben gerufen.
Über 350 000 Personen zählen zur ungarischen Minderheit in der Vojvodina und machen damit 15-17 Prozent der Gesamtbevölkerung dieser Region aus. Durch enge Kontakte mit Ungarn gelang es die Sprache und einen Teil der Traditionen aufrecht zu erhalten. Doch ging der Bezug der Jugend, die in den Zeiten des Krieges am Balkan aufwuchsen der Bezug zu ihren ungarischen historischen Wurzeln verloren. Die künstlerischen Ambitionen fokussieren zunehmend auf den schwelend Konflikt mit der serbischen Bevölkerungsmehrheit in den anstehenden Bemühungen um eine autonome Verwaltung der Provinz Vojvodina.
Es gilt der jungen Generation die Bedeutung der eigenen Kunst und Kultur vor Augen zu führen, um ihnen eine Grundlage für das weitere Bestehen der Minderheit in dieser Region zu schaffen. Nur in der Auseinandersetzung mit den eigenen historischen Traditionen und kulturellen Gegebenheit wird es für die Jugendlichen in Zukunft möglich sein Ihre Interessen innerhalb der ehemaligen jugoslawischen Staatengemeinschaft zu wahren und damit eine einzigartige Kultur im Herzen Europas für künftige Generationen zu bewahren.
„Nyári Ifjúsági Játékok“ – Die „Spiele der Jugend der Vojvodina
Die Spiele der Jugend der Vojvodina wurden 2000 ins Leben gerufen, um der Jugend eine Möglichkeit zu bieten sich auf spielerische Art mit ihren Traditionen auseinander zusetzen. In 80 Teams zu je 8 Personen werden ab Mai unterschiedliche Aufgaben gestellt, die sich mit kulturellen und künstlerischen Themen der ethnischen Minderheit befassen. So wurde beispielsweise traditionelles Lidgut gesammelt oder in Zusammenarbeit mit Älteren ein Theaterstück erarbeitet, das sich mit typischen historischen Alltagssituationen auseinander setzte. Den Abschluss der Spiele bildet eine viertägige Veranstaltung im Volkspark von Senta, wo die einzelnen Gruppen die Ergebnisse ihrer Bemühungen präsentieren.
Neben der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte stellt aber auch der Spaß und die Unterhaltung eine wesentlichen Faktor der Veranstaltung dar. So werden neben den Prämierungen der besten Präsentationen auch sportliche Wettkämpfe ausgetragen. Den Rahmen der Veranstaltung bilden verschiedene Musik- und Schauspielgruppen sowie Ausstellungen zu verwandet Themen im Bereich der bildenden und darstellenden Kunst.
Durch das gelungenen Konzept erfreuen sich die Spiele der Jugend der Vojvodina einer zunehmenden Beliebtheit, womit sie zu einer der meistbesuchten Veranstaltungen der Vojvodina geworden ist.
Trotz der miserablen wirtschaftlichen Lage der Region gelingt es dem Veranstalter eine so große Anzahl von Jugendlichen zu mobilisieren, um sich mit ihrem kulturellen Erbe auseinander zusetzen. Durch die guten Kontakte mit den entsprechenden Stellen vor Ort wäre es möglich diese beispielgebende Initiative mit unserem Projekt zu unterstützen.
Vorarbeiten
Im Zuge von Feldforschungsarbeiten entstand in Zusammenarbeit mit dem Architekturhistoriker Sisa Béla die Dokumentation eines typischen traditionellen Lehmhauses der ungarischen Minderheit. Am Institut für Baukunst, Bauaufnahme und Architekturtheorie wurde daraus ein dreidimensionales Modell erstellt, das in einer Broschüre für die Anleitung zur Erstellung einer sinnvollen Dokumentation eines Gebäudes zur genaueren Definition des traditionellen Baustils dienen soll.
Weiters wird in der Broschüre erläutert, wie eine photogrammetriegerechte Aufnahme eines Gebäudes erstellt werden kann. Mit Hilfe dieser Methode wird es danach möglich sein, die Bilder dazu zu verwenden weitere dreidimensionale Modelle von traditionellen Häusern zu erstellen.
Darüber hinaus werden Hinweise und Tipps zu weiteren Auseinandersetzung mit dem historischen Entwicklung eines Gebäudes, dessen Bewohner und seiner Umgebung gegeben.
Die Erstellung der Broschüre erfolgt in Zusammenarbeit mit Studenten und Künstlern, die in einer unterhaltsamen und leicht verständlichen Form versuchen die Methoden der Dokumentation den Jugendlichen verständlich zu machen. Die Umsetzung wurde in einer Art Comic geplant in dem Figuren aus der bäuerlichen Leben die Aufnahme eines Gebäudes demonstrieren.
Mit der Erstellung der Broschüre wurde bereits von engagierten Studenten in Zusammenarbeit mit Künstlern begonnen. Es ist geplant zur Unterstützung der lokalen Wirtschaft alle notwendigen und Verfügbaren Materialien vor Ort zu beziehen. So sollen die Hefte in der Vojvodina gedruckt und die notwendigen Messutensilien – und Kleinmaterialien in lokalen Betrieben gekauft werden.
Projektteam
Leitung | DI Dr. Ulrike Herbig, Geschäftsführung des Institutes für vergleichende Architekturforschung executive of the ICRA |
Architektur | In Wien: ao Univ-Prof. DI Dr. Erich Lehner, Institut für Baukunst, Bauaufnahme und Architekturtheorie, TU Wien; Experte für BauaufnahmenVor Ort: Leiter der Abteilung für traditionelle Architektur des Baudenkmalamtes Budapest |
Studienassistenten | Ferenc Zamolyi Betreuer für Bauaufnahmen |
StudentInnen | StudentInnen der Technischen Universität Wien und der Universität der angewandten Kunst Wien |
Künstlerische Betreuung | Foto/Film Ferdinand Karl, freischaffender Künstler, arbeitet vor allem im Bereich der zeitgenössischen Darstellung kulturellen Erbes in Form von Photographien und Videofilmen |
Vermessungstechnik | DI Dr. Ulrike Herbig Expertin für photogrammetriegerechte Dokumentationen von Kulturgut |
Dokumentation
Eine Auseinandersetzung mit dem kulturellen Erbe kann nur auf verschiedenen geistes- und naturwissenschaftlichen Ebenen erfolgen. Eine vollständige Dokumentation eines Objekts umfasst alle Beschreibungen, die durch einzelne Wissenschaften untersucht und analysiert werden können. Von der bildlichen Darstellung über die Beschreibung der Entwicklungsgeschichte bis hin zur chemisch-physikalischen Analyse der Substanz sollte darin alles enthalten sein, was als Grundlage für weitere Forschungen dienen kann. Die Dokumentation ist die zweckgebundene, wissenschaftlich analytische und systematische Untersuchung der vom Menschen geschaffenen Umwelt im Hinblick auf ihre Bedeutung als Identifikationsmerkmal für eine Ethnie.
Jede Disziplin hat dazu ihren eigenen Zugang, um das Ausgangsmaterial für weitere Untersuchungen zu erstellen. Erst die Dokumentation bildet die Basis für die Diskussionen und die Auseinandersetzung mit einem Teil der gebauten Umwelt, die immerhin einen wichtigen sichtbaren Teil Geschichte darstellt. An Hand einer Dokumentation lässt die Entwicklung eines Objektumgebung darstellen und für die Öffentlich zugänglich machen.
Mit dem vorliegenden Projekt werden traditionelle Bauten des ungarischen baukulturellen Erbes in der Vojvodina auf verschiedenen Ebenen dokumentiert. Der technische Bereich befasst sich mit der photogrammetriegerechten Dokumentation von Häusern, zu dem Zweck messbare Unterlagen über die Objekte zu erstellen. Zudem wird versucht verwendete Materialien zu definieren und bestimmte Methoden und Prozesse zu rekonstruieren.
Der geisteswissenschaftliche Teil befasst sich mit der Aufzeichnung der Geschichte des Objekts und seiner Bewohner und der Untersuchung über die Kunsthandwerklichen Details an den Objekten.
In Summe kann jede dieser Dokumentationen einen Teil der Geschichte der ungarischen Minderheit der Vojvodina erzählen. In der generationenübergreifenden Zusammenarbeit kann ein neues Verständnis für die Geschehnisse im Laufe der Geschichte entstehen. Gemeinsam mit den Künstlern haben die Jugendlichen die Möglichkeit ihre Erfahrungen und Erkenntnisse in künstlerischer Form zum Ausdruck zu bringen und damit lernen ihren Bezug zur kulturellen Vergangenheit für sich selbst zu definieren.
Photogrammetriegerechte Dokumentation
Die Photogrammetrie ist eine spezielle Form der Vermessungstechnik mit Hilfe von Bildern. Sie erlaubt die Rekonstruktion von geometrischen Gegebenheiten ohne die zu dokumentierenden Objekte nennenswert zu berühren.
Seit über 100 Jahren wird die Photogrammetrie als Mittel zur Erfassung von Architektur verwendet. Bei der Aufnahme von Objekten mit Amateurkameras – damit sind in diesem Zusammenhang jene Kameras gemeint, die nicht für Messzwecke konstruiert wurden – sind einige grundlegende Schritte zu beachten und auch begleitende Aufzeichnungen zu führen, um die Berechnungen im nachhinein auch tatsächlich mit der geforderten Genauigkeit durchführen zu können. In den „3 x 3 – Regeln für die photogrammetrische Architekturdokumentation“ sind diese Schritte zusammengefasst. Sie können von jedem Interessenten als Anleitung zur Dokumentation verwendet werden.
Die 3 x 3 Regeln für die photogrammetrische Architekturdokumentation
Der erste Schritt zur umfassenden Sammlung von Photos, die von Personen aufgenommen wurden, die nicht über photogrammetrisches Wissen verfügen, war, leicht verständliche Anweisungen zu definieren, die eine photogrammetrische Auswertung und Aufbereitung ermöglichen. Diese Regeln wurden in 3 Kapiteln zusammengefasst mit 3 Unterpunkten, deshalb der Name.
3 geometrische Regeln betreffend:
· Vorbereitung der Kontrollinformation (eine Strecke und eine Lotlinie auf jeder aufgenommenen Seite des Objektes),
· geometrische Anordnung der Aufnahmen (Normal-, Diagonal und verbindende Aufnahmen)
· Planung der Erstellung von Stereopartnern (im Normalfall, in Ausnahmefällen auch konvergierend).
3 photographische Regeln betreffend:
· die „innere Orientierung“ muss konstant sein (kein Zoom, Entfernungseinstellung auf unendlich oder fixieren),
· die Beleuchtung soll gleichmäßig sein (keine scharfen Schatten),
· Hinweise zum Film (jeder Filmtyp verwendbar, gewissenhafter Umgang mit den Negativen).
3 organisatorische Regeln betreffend :
· Erstellen korrekte Skizzen (Grundriss und Aufrisse mit Kontrollstrecken),
· ein Protokoll mit Angaben über das Objekt und die durchgeführten Aktivitäten,
· Endkontrolle, sowohl vor Ort als auch vor der Archivierung.
Eine international angelegte Studie (CIPA Karlsplatztest 1990) bewies die Verwendbarkeit der Aufnahmen für photogrammetrische Auswertungen, deren Genauigkeit in einem Bereich liegen, der für viele bautechnischen und wissenschaftlichen Anwendungen ausreichend ist.
Künstlerischer Ansatz
Ein wesentliches Element des Projekts ist die künstlerische Umsetzung der gewonnen Erkenntnisse bei den Abschlussveranstaltung der Spiele der Jugend der Vojvodina. Jede Gruppe kann die Form ihrer Darstellung selber wählen. In Zusammenarbeit mit darstellenden und bildenden Künstlern sollen die Jugendlichen ihren ganz persönlichen Eindruck von dem kulturellen Erbe darstellen, wie sei es erlebt und erfahren haben.
Im Zuge der Dokumentationsarbeiten haben die Jugendlichen die Möglichkeit sich mit den teilnehmenden Künstlern ihre persönliche Darstellungsform zu erarbeiten und damit auch schon entsprechende Materialien zu sammeln.
Die Form der Darstellungen ist maßgeblich abhängig von den Künstlern, die sich an dem Projekt beteiligen wollen. Folgende Präsentationen sind vorstellbar:
Photographien:
Über die photogrammetriegerechte Photodokumentation hinaus werden die persönlichen Zugänge zu dem Objekt, seinen Bewohnern und seiner Umgebung in Bildern dargestellt.
Bilder:
In der Gruppe werden gemeinsam Malereien erstellt, welche über Photographien hinausgehend die Möglichkeit bieten den Eindruck von der Geschichte und historische Momente aus dem Leben der Menschen und Existenz des Hauses darzustellen.
Installationen:
Mit Hilfe neu produzierter Gegenstände und von der Umgebung des Gebäudes stammende Objekte kann eine permanente oder temporäre Präsentation im Volksgarten in Zenta entstehen.
Theaterstücke:
Aus den gesammelten Erzählungen der Hausbewohner und Personen, die einen Bezug zu den Objekten haben werden Szenen von schicksalhaften Begebenheiten in der Umgebung oder in dem Gebäude erstellt oder in Zusammenarbeit mit den Bewohnern Alltagsszenen (bäuerlichen oder handwerklichen oder …) nachgespielt.
Durch die künstlerischen Auseinandersetzung mit den Ergebnissen ihrer Arbeit haben die Jugendlichen die Möglichkeit ihren ganz persönlichen Bezug zu ihrem kulturellen Erbe zu hinterfragen und seine Bedeutung für ihr Leben und ihre zukünftige Entwicklung darzustellen.
Abschlussveranstaltung
Im Rahmen der Abschlussveranstaltung werden die einzelnen Projekte präsentiert und von einer Fachjury die beste Arbeit prämiert. Im Rahmen der Veranstaltung haben die Besucher Möglichkeit mit den Gruppen über ihre Erfahrungen zu diskutieren. Damit kann in einem breiten Publikum in einem entspannten Ambiente der Zugang zu ihrem kulturellen Erbe und ihrer Geschichte eröffnet werden.
Als gemeinsames Abschlussprojekt wurde von dem Leiter der DMISZ (Délvidéki Magyarok lfjúsági Szervezete = Ungarischer Verein für Jugendliche in der Vojvodina), Ferenc Zsoldos der Bau eines kleinen traditionellen Hauses vorgeschlagen. Während der viertägigen Veranstaltung soll in Zusammenarbeit aller beteiligten Gruppen unter der Anleitung von Fachkräften (Zimmermann, Schilfdecker, usw.) ein kleines Bauernhaus aus Lehm im Volksgarten von Senta gebaut werden. Dies soll als Symbol für das bestehende Interesse an den kulturellen Wurzeln der ungarischen Volksgruppe in der Vojvodina bestehen beliben.
Zielsetzungen
Das kulturelle Erbe ist das Identifikationsmerkmal einer Kommune, eines Gebietes, einer Nation. Was das Haus für die Familie ist, sind Dorf und Tal für die bäuerliche, Städte für die bürgerlichen Gemeinschaften: Sie sind räumlicher Erinnerungsrahmen, welcher die Erinnerung auch und gerade bei Abwesenheit als „Heimat“ festhält. Jede Gruppe ist bestrebt, sich Orte zu schaffen und zu sichern, die als Symbole ihrer Identität und als Anhaltspunkt ihrer kollektiven Erinnerung dienen.
Die Erinnerungen und die Erfahrungen der jungen Generation der Vojvodina ist geprägt von Kriegswirren und politischen Repressalien. Durch Initiativen, wie diesem Projekt, soll der Jugend der Vojvodina die Möglichkeit geboten werden ihren Erinnerungsrahmen zu finden und zu definieren. Mit dem Engagement der Jugend zur Dokumentation ihrer kulturellen Vergangenheit können sie einen neuen Zugang zu ihren historischen Wurzeln und ihrer Identität innerhalb der neuen Staatengemeinschaft des ehemaligen Jugoslawien finden.